Ich war schon immer fasziniert von außergewöhnlichen Menschen. Von denjenigen, die andere auf ihrem Gebiet haushoch übertrumpfen, die polarisieren, so wie Steve Jobs, Cristiano Ronaldo oder das Vorzeigebeispiel schlechthin: Justin Bieber.
Auch ich höre mir auf dem Weg zur Uni sein neues Album „Purpose“ an und stoße durch YouTube auf alte Songs von ihm (wie „Baby“ oder „As long as you love me„), die ich plötzlich richtig gut finde. Die Zeiten, in denen man Justin als naiven Teenie-Schwarm wahrgenommen und belächelt hat, sind längst vorbei – ich glaube, ich bin jetzt ein Belieber. Dabei stellt sich mir jedes Mal die Frage, warum die Leute so verrückt nach ihm sind. Ich meine: Warum er? Mittlerweile teile ich die Meinung, dass mehr dahinter steckt als Gesangtalent, ein hübsches Profil und ein geschickt eingefädelter Image-Wandel.
Irgendwie habe ich, als Teil der Zielgruppe, das Gefühl, dass Justin Bieber all meine Sehnsüchte in einer Person verkörpert. Anscheinend nicht nur meine, sondern vielmehr die einer ganzen Generation. „And if you feel you’re sinking, I will jump right over into cold, cold water for you“ ist nicht einfach nur eine Zeile aus einem Songtext; das geht unter die Haut.
Wir jungen Leute im 21. Jahrhundert sind oftmals haltlos und auf uns selbst gestellt. Wir haben keine Ahnung, wie unser Leben in 10 Jahren aussieht und sehnen uns doch alle heimlich nach jemandem, der für uns – komme was wolle – ins kalte Wasser springt.
Gott sei Dank müssen wir nur zwei mal mit dem Finger über unser iPhone wischen und schon ist er da. Immer, solange wir wollen und er verspricht uns hoch und heilig, Silber, Platin und Gold für uns zu sein, solange wir ihn lieben (Lyrics). Da fühlt man sich doch gleich weniger einsam, oder? Er ist derjenige, der immer verfügbar ist, wenn wir ihn brauchen, den wir vergöttern und zu dem wir uns hingezogen fühlen können – zumindest emotional, und es ist einseitig, aber emotional.
Das Praktische daran ist, dass Justin uns in der Regel nicht verletzt und dass wir nur seinen Namen bei YouTube eingeben müssen, um sein gesamtes Leben in Ton und Bild verfolgen zu können – dabei fühlen wir uns ihm so richtig nah, als würden wir jetzt alles von ihm kennen. Wir wissen, dass er sowieso unerreichbar ist, also müssen wir auch keine Angst haben und können unserer Bewunderung freien Lauf lassen.
Insgeheim fühlen sich wahrscheinlich alle jungen Mädels heimlich angesprochen, wenn Justin seine Liebe durch geschickte Phrasen wie „I’ll take every single piece of the blame if you want me to“ bekundet. Das klingt schon fast verzweifelt, ja, er liebt verzweifelt und bedingungslos, so wie wir eigentlich alle geliebt werden wollen.
Natürlich ist JB nicht der erste junge Mann mit einer außergewöhnlichen Stimme. Robbie Williams war auch gut und wer mochte Michael Jackson nicht? Doch Justin ist anders. Er ist in unserem Alter und unser Freund, trägt bei seinen Konzerten für gewöhnlich Hoodies und Snapbacks anstatt abgefahrene Glitzerkostüme und Krawatten und lässt uns ganz eng an den wahren Justin heran. Die Beatles waren cool, aber Justin ist einer von uns und wir alle könnten theoretisch an seiner Stelle sein.
Der Amerikanische Traum wird durch ihn wahr, unser aller Traum? Alles, wonach wir uns tief im Innersten sehnen, können wir auf Justin projizieren, der all diesen Wünschen ein (hübsches) Gesicht gibt. Ein Leben in den angesagtesten Städten der USA – dem Zentrum der Welt – mit einer Menge Geld und prominenten Freunden. Egal wo Justin hinkommt, die Leute werden geradezu hysterisch, weil sie ihn sooooo sehr lieben, man hat das Gefühl, sie würden am liebsten in ihn hineinkriechen. Ich persönlich glaube, dass uns seine Gegenwart so aus dem Häuschen bringt, weil unsere unerfüllten Sehnsüchte dann endlich mal ein Stück Realität annehmen.
Es ist längst out, Justin zu hassen, weil auch der letzte Hohlkopf endlich begriffen hat, dass er sich kindisch verhält, jemanden zu „haten“, nur weil die eigene Freundin beim Klang dessen Stimme zu kreischen anfängt oder weil wir eben aus Prinzip das ablehnen müssen, was alle anderen lieben – wie uncool wäre es, mit dem Strom zu schwimmen?
Das Konzept Justin Bieber geht also ganz offensichtlich auf und ich bezweifle, dass das viel mit Zufall oder Glück zu tun hat. Da hat jemand wirklich gute Arbeit geleistet und den Nerv der Zeit getroffen und das ist genau der Punkt, der mich in diesem Fall so beeindruckt. Es geht im Grunde wie immer eigentlich nur um Psychologie, um Sehnsüchte und Träume von Menschen, die sich in solchen Phänomenen widerspiegeln.
Was den Bieber nebenbei nochmal attraktiver macht, ist womöglich seine Bekanntheit. Es spielt keine Rolle, ob man ihn mag oder nicht, wer wäre nicht stolz darauf, die mit Abstand meisten Dislikes ever auf YouTube („Baby“ mit über 6 Mio) abgesahnt zu haben? Das kann nur jemand schaffen, der richtig groß ist und wir bewundern sicherlich auch ein Stück weit einfach nur seinen FAME – berühmte Menschen sind nun mal faszinierend, denn sie scheinen ein Erfolgsgeheimnis zu haben, das uns Normalos für immer verborgen bleibt.